Buchvorstellung im Jahr 2009

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Buchvorstellung 2009

Der Historische Verein Schmelz hat in diesem Herbst sein 21. Schmelzer Heimatheft fertig gestellt. Es enthält Beiträge von Johannes Naumann zur Kapelle in Außen, von Willi Marxen zum Dreißigjährigen Krieg, von Niko Leiß und Johannes Naumann zum Anwesen Marktstraße 24 in Bettingen, von Elmar Schmitt zu dem Hüttersdorfer Hausnamen „Hanspitten“, von Katja Frank und Dr. Johannes Schmitt zu dem „Bupricher Rötelweg“ und schließlich ein Beitrag der Erweiterten Realschule Schmelz zu den Lebenserinnerungen von Ruth Salomon. Das Heft umfasst 104 Seiten und ist zum Preise von 10 Euro in den Schmelzer Buchhandlungen und Kreditinstituten sowie beim Historischen Verein Schmelz, Volksbank Schmelz, Trierer Str., erhältlich.

Rede des Leiters des Saarländischen Landesarchivs, Dr. Ludwig Linsmayer, anlässlich der Vorstellung des 21. Schmelzer Heimatheftes

Luwig Linsmayer

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, lieber Johannes Schmitt, meine sehr geehrten Damen und Herren,

der 21. Band der Schmelzer Heimathefte liegt druckfrisch vor und wird heute morgen von uns der Öffentlichkeit übergeben. Ich freue mich sehr darüber, dass mir die Ehre zuteil wurde, die einzelnen Beiträge vorzustellen und den Band zusammenfassend zu würdigen.

Bevor ich dies tue, gestatten Sie mir, dass ich kurz an die Anfänge erinnere. Das erste Schmelzer Heimatheft wurde 1989 publiziert, zu einer Zeit, als überall in Deutschland Geschichtswerkstätten entstanden, historische Museen aus der Taufe gehoben wurden und an den Universitäten um die sogenannte „Regionalgeschichte“ als damals neue Forschungsperspektive spannende Diskussionen geführt wurden. Es gab einen Geschichtsboom, der vor allem auch von vielen jüngeren Menschen getragen wurde, die das Motto „Grabe, wo Du stehst!“ zu ihrem Leitmotiv wählten. Intendiert war, die jeweilige Wirklichkeit vor Ort als etwas Gewordenes zu begreifen und nach ihren historischen Wurzeln zu suchen – oder, wie Johannes Schmitt vor 20 Jahren im Vorwort des 1. Bandes der Schmelzer Heimathefte schrieb: „Geschichte nicht um ihrer selbst willen zu erforschen, sondern von der Gegenwart, von Gegenwartsfragen und -problemen ausgehend, in die Vergangenheit hineinleuchten, um in diesem Sinne historisch aufzuklären.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

wenn wir heute, zwei Jahrzehnte später, eine Zwischenbilanz ziehen, dann dürfen wir, glaube ich, einerseits feststellen, dass dieses Programm kaum etwas von seiner Gültigkeit verloren hat. Auf der anderen Seite müssen wir aber ebenso konstatieren: Ein bewegendes Thema, das die Studenten umtreibt, ist die Regional- oder Landesgeschichte heute längst nicht mehr; die führenden Köpfe in den Geschichtswerkstätten und historischen Vereinen schauen zunehmend betagter aus; die Erklärungskraft der Geschichte ist in einer Zeit rapider globaler Veränderungen geschwunden, zumindest wird sie deutlich weniger von der Politik nachgefragt oder in Anspruch genommen. Gesamtgesellschaftlich betrachtet, ist die Dynamik, die einst von den „grass-root-historians“ und ihrer Bewegung ausging, heute spürbar erlahmt. Landesgeschichte ist nicht mehr „in“, sie wird vielfach nur noch als kulturelles Ornament und nicht mehr als aufklärerischer Impuls zur Kenntnis genommen.

Es ist nicht einfach, meine Damen und Herren, sich einem solchen Trend zu widersetzen: Kritisch bleiben, wenn Folklore angesagt ist, stets von neuem an etwas zu erinnern, das in Vergessenheit zu geraten droht, für die Geschichte eine Lanze zu brechen, wenn das Interesse daran zurückgeht. Es sind immer nur wenige Initiativen, die Kurs halten, und eine von diesen Initiativen, die es hier im  Landesmaßstab gibt, sind die Schmelzer Heimathefte.

21 Jahre Schmelzer Heimathefte – das heißt 21 Jahre dasselbe Programm, derselbe Anspruch und ein gleichbleibendes Niveau. Ich möchte deshalb die heutige Gelegenheit nutzen, um den Schriftleiter der Schmelzer Heimathefte, Herrn Dr.  Johannes Schmitt, zu dieser kontinuierlich erbrachten Leistung ausdrücklich zu beglückwünschen. Und ich schließe in diese Anerkennung bewusst auch jene Autoren mit ein, die das Format der Schmelzer Heimathefte über die Jahre hinweg geprägt haben: unter ihnen Elmar Schmitt, der heute wie bereits im 1. Band mit einem Artikel vertreten ist, aber auch Josef Even, Ewald Sturm, Cornelia Hoffmann, Willi Marxen, Edith und Eric Glansdorp und Alois Johann.

Damit komme ich zur 21. Ausgabe der Schmelzer Heimathefte, die wir heute vorstellen. Der Band ist 102 Seiten stark und beinhaltet neben dem Vorwort sieben Aufsätze. Die Reihenfolge der Beiträge ist wie immer chronologisch vorgenommen; der Leser wird eingeladen zu einem historischen Streifzug, der im Spätmittelalter im Schmelzer Ortsteil Außen beginnt und mit den Lebenserinnerungen der jüdischen Zeitzeugin Ruth Salomon endet, die ihre Kindheit zum Teil in Hüttersdorf verbrachte, bevor ihre Familie vor den Nazis fliehen musste. Eine Vielfalt von unterschiedlichen Epochen wird angesprochen – und ebenso vielfältig sind die historischen Quellen, mit denen sich die Autoren beschäftigen und aus denen sie ihre historischen Kenntnisse schöpfen. Das 21. Heft handelt von Baudenkmälern und Baugeschichte, von alten Sagenstoffen und Hausnamen, von einem kulturgeschichtlichen Wanderweg und, wie bereits erwähnt, von mündlich überlieferten Lebenserinnerungen, die im Rahmen eines Schulprojekts dokumentiert und pädagogisch aufbereitet wurden. In allen Aufsätzen ist das Bemühen spürbar, Historisches neu zu  entdecken oder zu bewahren, Geschichte als ERFAHRUNG in Wert zu setzen und dem heutigen Leser lebendig zu vermitteln.

 Vor allem was die Baugeschichte betrifft, werden wir im neuen Heft gleich mit zwei Entdeckungen bekanntgemacht. Eine davon betrifft das Gebäude Marktstraße 24 in Schmelz – ein Gebäude, das seit längerer Zeit zu verfallen drohte, aber auch architektonische Neugier weckte, weil sein fast quadratischer Grundriss und sein breit gelagerter Giebel aus den gängigen Baumustern herausfällt. Bürgermeister Armin Emanuel ließ die Bausubstanz deshalb einmal genauer unter die Lupe nehmen – und welche Überraschungen die betreffenden Untersuchungen zutage förderten, darüber berichtet uns Niko Leiß in seinem spannenden Beitrag.

Auffällig an dem Gebäude ist zunächst ein Doppelfenster, das eine Renaissance-Profilierung aufweist; dieses Gestaltungsdetail und die als stehender Stuhl ausgeführte Dachkonstruktion ließen eigentlich seine Entstehung im frühen 17. Jahrhundert vermuten. Die dendrochronologische Altersbestimmung, die anhand mehrerer Holzproben vorgenommen wurde, ergab aber dann, dass die Bauzeit erst einige Jahrzehnte später, nämlich in den Jahren 1682/83 zu datieren ist. Weil das Gebäude in seiner mehr als 300 jährigen Geschichte mehrfach umgebaut worden ist, ließen sich der ursprüngliche Standort der Treppe und die Lage des Haupteingangs nicht mehr zweifelsfrei rekonstruieren – das heißt, es blieb so manches Rätsel bestehen, das auch durch eine noch so genaue Untersuchung der baulichen Überreste nicht gelöst werden konnte.

Aber, meine Damen und Herren, es gibt ja nicht nur die dinglichen Quellen, zum Glück gibt es ja auch Archivalien. Diese müssen im Hinblick auf die äußerst zersplitterte Territorial-Geschichte und Überlieferungslage in unserem Raum freilich erst einmal gefunden werden – und so tat die Gemeinde Schmelz sicher gut daran, den ausgewiesenen Landeshistoriker Johannes Naumann mit einer entsprechenden Recherche zu betrauen. Naumann begab sich auf Quellensuche nach Koblenz ins Landeshauptarchiv, nach Speyer und Saarbrücken in die beiden Landesarchive und nicht zuletzt nach Metz, ins dortige Archiv departementale, wo er einen aufschlussreichen Fund machte.

Die Entstehungszeit unseres Gebäudes fällt, wie bereits erwähnt, in die 1680er Jahre und damit in die französische Reunionszeit, in jene Zeit, in der die Festungsstadt Saarlouis erbaut wurde und überall im lothringischen Raum Landstraßen instandgesetzt und Brücken wieder hergerichtet wurden, was mit der Erhebung von Straßen- und Brückenzöllen einherging. Auch in Bettingen wurde damals eine feste Brücke über die Prims gebaut – und Johannes Naumann ist nun im Metzer Archiv auf einen Vertrag aus dem Jahr 1689 gestoßen, der die Verpachtung des Brückenzolles an der Landstraße zwischen Außen und Bettingen nahe der besagten Primsbrücke regelt. Wo Zölle erhoben werden, musste es auch eine Zollstation geben – zumeist mit einer Amtsstube, einem separaten Wohnbereich für Familie und Gesinde des Steuereinnehmers sowie einer kleinen Gaststätte zur Verpflegung und Bewirtung der Reisenden. In Anbetracht seiner Größe und seines Grundrisses könnte das heutige Gebäude Marktstraße 24 gut  den baulichen Anforderungen an eine solche Zollstation entsprochen haben, zumal auch erhaltene Details wie das bereits erwähnte Renaissancefenster auf einen repräsentativen, herrschaftlichen Bau schließen lassen. Auf einer Karte von 1710, die Johannes Naumann in Koblenz aufgespürt hat, können wir sehr gut die Primsbrücke und ein einzelnes Gebäude daneben erkennen, während die übrigen Häuser sich um die Kirche gruppieren.

Sie sehen, meine Damen und Herren, Bauforschung und Archivforschung greifen nahtlos ineinander, fördern gemeinsam neue Erkenntnisse zutage – und wenn es überhaupt einer Kritik an Niko Leiß und Johannes Naumann bedarf, dann höchstens derjenigen, dass beide Autoren sich nicht zusammen getan und einen gemeinsamen Aufsatz verfasst haben, der ihre komplementäre Spurensuche für den Leser noch besser nachvollziehbar gemacht und unnötige Dopplungen vermieden hätte.

Das einstige Zollhaus ist übrigens nicht lange Zollhaus geblieben. Bereits 15 Jahre nach seiner Erbauung kam es zum Frieden von Rijswijk und zur Wiederherstellung Lothringens, zum Wegfall der Brückenzölle und damit zu einer Entfunktionalisierung des Gebäudes. Zugleich wissen wir aus einer Reihe von Baufunden, dass das Gebäude in der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts massiv umgestaltet und in sechs gleich große Parzellen unterteilt wurde. Die daraus entstandenen Wohnungen waren zwar gerade mal dreieinhalb Meter breit, erstreckten sich aber alle über zwei Etagen und boten – gemessen am zeitgenössischen Standard – genügend Platz für den Wohnbedarf einer Familie. Vermutlich sind in das Gebäude damals einige jener Hüttenarbeiter der ersten Generation eingezogen, die durch das Aufkommen der Schmelz seit 1715 in die Gegend zuwanderten. Johannes Naumann ist bei seinen Recherchen auf einen Nachbarschaftskonflikt in Bettingen aus dem Jahr 1738 gestoßen, der in den Gerichtsprotokollen des Amtes Schaumberg, der damaligen lothringischen Landesherrschaft, seinen Niederschlag fand. Berichtet wird von gegenseitigen Handgreiflichkeiten und Beleidigungen in einem Anwesen unweit des Primsüberganges, das über zwei Geschosse und einen Dachraum verfügte und in dem mindestens 5 Parteien lebten. Die Vermutung, dass es sich hier um das Haus Marktstraße 24 handelt, ist zwar nicht zweifelsfrei gesichert, dank der untersuchten Bauhistorie und der archivalischen Funde aber in hohem Maße wahrscheinlich und evident.

 Meine sehr geehrten Damen und Herren,

bemerkenswert an den beiden Artikeln von Leiß und Naumann ist nicht nur die Forschungsleistung an sich, sondern auch der kommunale Kontext, dem sie sich verdanken. Dass ein altes verfallendes Gebäude nicht einfach abgerissen wird, dass zur Klärung seiner Baugeschichte nicht nur ein Baugutachten, sondern auch eine Archivrecherche in Auftrag gegeben wird – und dass es am Ende saniert und einer bevorzugten öffentlichen Nutzung zugeführt werden soll –, das nenne ich einen verantwortungsvollen und zukunftsweisenden Umgang mit der historischen Bausubstanz! Wie sie alle wissen, sind wir mit Bau- und Bodendenkmälern in unserer Region ja nicht gerade überreich gesegnet – und deshalb ist es umso wichtiger, dass wir das Wenige, das wir haben, schützen, achten und identifikationsfördernd verwerten.

 Das ist hier geschehen – und das gilt genauso für einen zweiten Fall, nämlich für die einstige Kapelle zu Außen, von der heute bekanntlich nur noch der Turm steht, der in den Jahren 2006 und 2007 restauriert wurde und danach erneut zu einer Andachtsstätte geworden ist. Johannes Naumann hat auch dazu im vorliegenden Heft einen eigenen Beitrag verfasst, der die Geschichte der Kapelle in ihren verschiedenen Phasen nachzeichnet und sie in das nicht immer leicht zu durchschauende kirchengeschichtliche Ganze unseres Raumes einordnet. Immerhin datieren die Anfänge der Kapelle – auch dies eine überraschende Entdeckung – aus dem späten 14. Jahrhundert, und so ist die Gemeinde Schmelz dafür zu beglückwünschen und dem Autor Johannes Naumann beizupflichten, wenn er seine Ausführungen mit dem befriedigten Fazit beschließt, dass es durch die Restaurierung gelungen sei, „den Erhalt eines wichtigen Relikts ländlicher Sakralarchitektur des Spätmittelalters“ zu sichern.

 Damit, meine Damen und Herren, komme ich bereits zum nächsten Beitrag, der einen alten Hüttersdorfer Hausnamen zum Thema hat. Es handelt sich hier, wenn Sie so wollen, um eine Fortsetzungsgeschichte, denn der Autor, Elmar Schmitt, hat schon in den Schmelzer Heften Nr. 19 und Nr. 20 über zwei andere Hausnamen und das, was sie über die lokale Geschichte erzählen können, berichtet.

Die Wendung, dass Hausnamen Geschichte erzählen, wird in diesem Saal sicher wohl verstanden – und trotzdem ist es vielleicht angebracht, den Gehalt dieser Metaphorik präziser zu fassen: Für sich genommen, sagen die Hausnamen nämlich noch gar nichts. Man muss sie erst zum Sprechen bringen, ihre verschiedenen Verwendungszusammenhänge aufdecken und in den historischen Ablauf einordnen, mit anderen Worten jede Menge Quellenforschung betreiben und dabei, manchmal genussvoll, manchmal mühsam einen Puzzlestein zum anderen fügen.

Der Hausname, um den es dieses Mal geht, ist „Hans-Pitten“ bzw. „Hans-Pitten-Haus“. Der Namensgeber, Johann-Peter Müller, lebte zwischen 1660 und 1736 und gehörte, „zweifelsohne zu einer der führenden Familien, die nach dem 30jährigen Krieg für unsere beiden Dörfer Hüttersdorf und Buprich außerordentlich wichtig waren und die es verdienen, dass man sich ihrer erinnert und staunend ihren Mut, Charakter und gemeinnützigen Sinn bewundert.“ Ich bin sicher, Peter Blickle, der bis 1980 an der Saarbrücker Universität Frühe Neuzeit gelehrt hat und neuerdings wieder als Honorarprofessor an seine alte Wirkungsstätte zurückgekehrt ist, würden diese Sätze, sollte er sie lesen, sehr freuen. Blickles Kommunalismus-These würdigt die Vertreter des Dritten Standes bekanntlich nicht nur als Untertanen, sondern als Wegbereiter demokratischer und freiheitlicher Tugenden – und ich habe den Eindruck gewonnen, das verbindet ihn mit so manchem Autor der Schmelzer Heimathefte, nicht nur mit Elmar Schmitt, sondern z. B. auch mit dessen Namensvetter Johannes.

Doch zurück zum Namen „Hanspittenhaus“. Elmar Schmitt machte eine Beobachtung, die ihn auf eine interessante Fährte führte: Derselbe Johann-Peter-Müller, der dem Hanspittenhaus später den Namen gab, wird seinerseits in einer später erstellten  Kirchenschöffenliste von 1781 als „Johann Peter Müller von Hydersdorf aus Mayers Haus“ benannt. Die Zusatzangabe aus „Maiers Haus“ findet sich auch bereits bei einigen seiner Vorfahren, so dass von einer langen Maier-Tradition der Familie auszugehen ist, als deren frühester Vertreter der Ur- Ur- Ur-Großvater des Johann Peter Müller Adam Schmecker vom Autor ausgemacht wird. Adam Schmecker ist 1480 geboren, er wird in verschiedenen Quellen als „der alte Maier“ bezeichnet und betrieb vermutlich eine Mühle. Sein Sohn Hans erscheint in den Quellen deshalb nicht nur als „Schmeckers Hans“, sondern bereits als „Müllers Hans“, und in der nächsten Generation wurde daraus „Müller Hansens Sohn Peter“. Der Name „Schmecker“ verwandelte sich mit der Zeit somit in den Namen „Müller“, und da die Müllers über Generationen die Funktion des Maiers ausübten, wurde ihr angestammter Wohnsitz zu „Maiers Haus“. Das ist sozusagen die eine Seite einer verwickelten Namensgeschichte. Zu klären bleibt die andere Frage, wie aus dem Haus an der Ecke Bettingerstraße/Primsstraße, das lange Zeit als „Maiers Haus“ firmierte, letztendlich das „Hanspittenhaus“ wurde – und die Vermutung liegt natürlich nah, dass dies dem damaligen Hochgerichtsmaier Johann Peter Müller selbst zuzuschreiben ist, der durch seine Taten im Hüttersdorfer Dorfleben lange nachwirkte und gleichsam zu einer historischen Figur wurde.

Die Geschichte, die diesem Nimbus zugrunde liegt, ist aus den Schmelzer Heimatheften bereits länger bekannt und sei hier deshalb nur noch stichwortartig rekapituliert: Seit 1716 schwelt ein sich zuspitzender Fischerei- und Jagdkonflikt zwischen den Gemeinden Hüttersdorf und Buprich einerseits und den Vögten von Hunolstein und den Herren von Hagen andererseits. Es kommt zu Verboten, dagegen gerichtete Petitionen, Beschimpfungen, Amtsenthebungen, zu einem Prozess vor dem Reichskammergericht in Wetzlar, zu öffentlichen Ungehorsamsbezeugungen und Tätlichkeiten. Johann Peter bzw.  Hanspitt Müller steht als Hofgerichtsmaier im Mittelpunkt des Konflikts, sitzt 9 Monate im Ottweiler Gefängnis ein, bleibt aber auch danach unbeugsam, um die althergebrachten Rechte der Gemeinde gegenüber der Herrschaft zu verteidigen. Der Konflikt prägt sich tief im kollektiven Gedächtnis der Gemeinde ein; aus dem Maiers Haus wird das „Hanspittenhaus“, und es behält diesen Namen auch noch 100 oder 200 Jahre später, als es längst von ganz anderen Familien bewohnt wird. Doch wer immer im Hanspittenhaus lebte, wurde auch im 19. Jahrhundert zum Beispiel als „Hanspitten-Amei“ oder „Hanspitten-Josef“ von den übrigen Dorfbewohnern benannt. So verschmelzen im Namen „Hanspittenhaus“ unterschiedliche Schicksale und Traditionen, die von Elmar Schmitt nicht nur dokumentarisch belegt, sondern erzählerisch nachempfunden werden. Am Ende seines Beitrags konstatiert der Autor einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem allmählichen Verschwinden der alten Hausnamen und dem Absterben der familiären Erzähltradition, die im heutigen Medienzeitalter kaum noch eine Chance hat. Vielleicht liegt in diesem Zusammenhang auch eine wichtige Motivation des Autors für sein Schreiben. Für mich jedenfalls ist Elmar Schmitts Beitrag nicht nur bloße Namensforschung oder historische Dokumentation; er ist eine Art Rettungsversuch, das historische Erzählen mit all seinen subjektiven, assoziativen und gemeinschaftsstiftenden Momenten in einer Zeit der chats und blogs, der sms und mails  für einen begrenzten Leserkreis lebendig zu erhalten.

 Auch im fünften Beitrag, den wir Willi Marxen verdanken, geht es um einen Hausnamen und vor allem um das historische Erzählen. Wie Sie alle wissen, ist Buprich der älteste Teil der heutigen Verbandsgemeinde Schmelz. Buprich entstand bereits in der Ära der Kelten, ist in der Römerzeit unter dem Namen Boudobriga belegt, wurde im Dreißigjährigen Krieg dann aber vorübergehend zur Wüstung. Verantwortlich dafür war die Pest, die das Dorf mitten im Dreißigjährigen Krieg 1635/36 heimsuchte und an deren Schrecken heute noch das so genannte Pestkreuz in der Ortsmitte erinnert. Erst nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde das Dorf langsam wieder aufgebaut – und einer über viele Generationen im Volksmund überlieferten Sage zufolge war es das einstige „Lauxenhaus“ am Fuße des heutigen „Bielenberges“, in dem zuerst neues Leben erwachte. Der Name „Laux“ ist aus einer Abgabenliste von 1635 tatsächlich historisch belegt, taucht später freilich nicht mehr auf, dafür hat sich jedoch der Hausname „Lauxen“ über die Jahrhunderte hinweg gehalten und wird heute noch mit den nachkommenden Bewohnern des Hauses in Verbindung gebracht.

Ich will hier nicht die Sage im einzelnen nacherzählen von dem jungen Mädchen, das als einzige die Pest überlebte, von einem vorbei reitenden Landsknecht gerettet und in sein Heereslager mitgenommen wurde, um am Ende mit ihm vermählt in das verlassene Dorf zurückzukehren und Buprich von neuem zu bevölkern. Interessant ist vielmehr, dass Willi Marxen uns die Sage gleich in zweifacher Form präsentiert: Zunächst gibt er sie so wieder, wie sie heute noch im Gedächtnis älterer Einwohner verankert ist. Gleich im Anschluss druckt er eine ältere Nachdichtung der Sage aus der Feder von Maria Croon ab, die in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts in Hüttersdorf, Schmelz-Außen und Primsweiler lebte. Maria Croon publizierte ihre Nachdichtung am 1. August 1931 in der katholischen Saarbrücker Landeszeitung unter dem Titel „Der Landsknecht Johannes und sein Eheweib Susanne gründen das neue Buprich“. Ihr Text ist literarisch elaboriert und voller Ausschmückungen, bleibt aber ziemlich genau am inhaltlichen Plot der Sage orientiert. Wer gerne liest oder vorliest und zwischen Dichtung und Wahrheit zu unterscheiden weiß, der mag den Text als eine Art literarisches Denkmal würdigen, das an einen entscheidenden Wendepunkt der Geschichte Buprichs erinnert. Ich vermute, dieser Gedanke hat Willi Marxen bewogen, nochmals auf die Sagendichtung hinzuweisen, die einst recht populär war, in der Gegenwart aber nur noch den wenigsten bekannt sein dürfte.

Historisch interessant an Maria Croons Text ist aber noch etwas anderes, meine Damen und Herren. Der Text ist nämlich nicht nur eine historische Nacherzählung mit den Mitteln der Fiktion, er ist selbst ein Stück Geschichte. Er ist aufgeladen mit dem Zeitgeist der 1920er Jahre, der durch die sogenannte Heimatbewegung und ein völkisches Kulturverständnis geprägt war. Ich zitiere eine Stelle aus dem Anfang des Textes von Maria Croon, wo es heißt:

„Ich sah einmal einen baumdicken Efeustamm, sicher ein halbes Jahrtausend alt, an einer verwitterten Burgruine. Er stand zwischen Geröll und Gestrüpp an der zerklüfteten Mauer, die alt und grau war wie der Stamm selbst. Aber das Gewächs hatte sich aufwärts gerankt bis zur höchsten Spitze des trotzigen Turmes, und ein paar luftige, zartgrüne Blättchen, die Triebe des letzten Frühlings, wippten von ihrer hohen Warte und schauten mitten hinein in das moderne Getriebe des Tales. Zwischen der Wurzel bis zu diesem letzten Efeublättchen liegen Jahrhunderte, und doch saugt das jungfrische Grün seine Kraft aus dem knorrigen Gerank tief unten in der Erde.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser kurze Abschnitt enthält in nuce ein Stück der populären Geschichtsphilosophie der 1920er Jahre. Aus dem Text spricht die Überzeugung, dass jede Gegenwart ihre Kraft notwendig aus der Geschichte bezieht und dass es derselbe Platz, derselbe Raum ist, an dem Gegenwart und Vergangenheit zu einer Einheit verschmelzen. Wie Sie wissen, ist dieses Gedankengut später durch die Nationalsozialisten missbraucht und zu einer kriegerisch ausgerichteten Blut- und Bodenmystik pervertiert worden. Frei von Vorurteilen waren aber auch die 1920er Jahre nicht, die damaligen Zeitgenossen wie Maria Croon betrachteten historische Zusammenhänge als etwas, das man wie die Natur beschreiben kann – ein Geschichtsbild, in dem Kategorien wie Freiheit, Aneignung, Widerspruch und Kritik überhaupt keine Rolle spielten. Zur Ehrenrettung der Zeitgenossen darf man andererseits aber sagen, dass Ihnen selbstverständlich war, was heute erst wieder von neuem gesellschaftlich gelernt werden muss: Dass Zukunft nur im Wissen um die eigene Herkunft möglich ist – und die Geschichte eine Macht ist, die uns prägt, auch wenn uns dies selbst gar nicht immer so bewusst sein mag.

Sagendichtungen wie die Bupricher Erzählung von Maria Croon, aber auch zum Beispiel die beliebten historischen Festumzüge waren vor 100 Jahren im Übrigen nicht nur Unterhaltung, sondern wichtige Medien der historischen Bildung und Erziehung. Heute hat sich diese Formensprache längst verbraucht, historische Bildung wird bekanntlich zumeist über große Ausstellungen und Fernsehdokumentationen transportiert, in vielen Fällen wird Geschichte von jung und alt neuerdings aber auch einfach erwandert. Damit, meine Damen und Herren, ist die Überleitung hergestellt zum nächsten Beitrag des Hefts, zur Dokumentation über den Bupricher Rötelweg, die gemeinsam von Katja Frank und Johannes Schmitt erstellt wurde.

Das Konzept, Geschichte am historischen Ort selbst kennenzulernen und zu vermitteln, wird in Schmelz schon recht lange verfolgt. 1991 bis 1994 wurden mehrere historische Lehrpfade entworfen, die der keltischen, römischen, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Epoche und ihren jeweiligen historischen Stätten gewidmet waren. Wenige Jahre später gesellte sich dazu ein zeitgeschichtlicher Lehrpfad, der von Cornelia Hoffmann erarbeitet und in den Nummern 10 und 11 der Schmelzer Heimathefte publiziert wurde. Nun also ein industriegeschichtlicher Rundwanderweg, der sich von den vorangegangenen Lehrpfaden wohl vor allem dadurch unterscheidet, dass mit ihm nicht in erster Linie Schüler, sondern kulturell interessierte Wanderliebhaber angesprochen werden sollen. Kulturgeschichtliche Rundwanderwege haben von der Idee her einen zweifachen Sinn: Sie bedeuten einerseits eine kulturelle Bereicherung des Wanderns und stellen andererseits eine neue Form der historischen Aneignung durch den einzelnen dar. Das freut den passionierten Wanderer ebenso wie den Historiker – und so nimmt es nicht wunder, dass der Bupricher Rötelweg als Gemeinschaftsproduktion des Schmelzer Saarwaldvereins und des Historischen Vereins Schmelz zustande gekommen ist.

Ob der Weg auch wirklich attraktiv ist, von den Wanderern angenommen und von vielen begangen wird, darüber entscheiden letztendlich viele Faktoren:  Unerlässlich sind eine schöne Landschaft und vernünftige Wegführung, wichtig ist aber ebenso, dass das Programm vielseitig und abwechslungsreich ist, dass die aufgeführten Informationen gut erfassbar und nicht überladen sind, dass optische und visuelle Reize nicht zu kurz kommen und die Übersichtlichkeit des Ganzen gewahrt bleibt. Bei der Konzeption des Bupricher Rötelwegs scheint in diesen Punkten vieles richtig gemacht worden zu sein. Bereits ein kurzer Blick über das in der Dokumentation abgedruckte Bildmaterial vermittelt den Eindruck, dass hier der Grundsatz, Geschichte zu visualisieren und optisch ansprechend zu vermitteln, mit hohem Arbeitsaufwand verwirklicht wurde. Dazu zählen verschiedene Stollenpläne, die von Katja Frank eigens für den Rundwanderweg in vereinfachter Form nachgezeichnet wurden, dazu zählen informative schematische Darstellungen zum Beispiel der Höhenprofile und der Wiesenbewässerung, und dazu gehört ein gut ausgewähltes Karten- und Bildmaterial. Die Texte zum Rötelabbau sind wohltuend knapp gehalten, zeigen aber deutlich auf, wie alt der Rötelhandel in der Gegend ist, wie der Abbau im 19. Jahrhundert intensiviert wurde und wie groß die Produktpalette war, die vom Rötel profitierte. Der Rötelweg trägt seinen Namen also zurecht; er hat aber noch mehr zu bieten,  um bei den Wanderern, die ihn begehen, historische Neugier  zu erwecken. Es war eine gute Entscheidung, dass die Planer des Rundwanderweges das Buch der Geschichte überall dort aufschlagen, wo in der Örtlichkeit entsprechende Ansatzpunkte gegeben sind. So erhalten die Wanderer unterschiedlichste historische Informationen zu dem römischen Gräberfeld, das an ihrer Wegstrecke liegt, zum Standort der alten Klausenmühle, zur Architektur des südwestdeutschen Quereinhauses, zu den Sandsteinbrüchen am Kleeberg oder auch zu den Westwallbunkern, von denen sich noch Reste unter dem Erdreich befinden. Das in den frühen 1930er Jahren veranstaltete Autorennen „Rund um das Höchst“ gerät ebenso in den Fokus wie ein Militärlager der französischen Besatzungsmacht nach dem 2. Weltkrieg, von dem nur die Barackenfundamente erhalten sind. Natürlich wissen wir, dass nicht alle diese historischen Mosaiksteine für jeden, der an ihnen vorbeikommt, gleichermaßen interessant sind. Insgesamt dürfte sich beim Erwandern des Weges aber eine vielgestaltige Vergangenheit erschließen, die hier versteckt liegt, das Bewusstsein eines gewissen historischen Reichtums geweckt werden, ein Gefühl für Wandel und Vergänglichkeit, das auch die Gegenwart in einem neuen Licht erscheinen lässt.

 Es ist nicht leicht, meine Damen und Herren, den Bogen vom Rötelweg zu unserem letzten Beitrag zu spannen, denn dieser handelt von Ausgrenzung und Gewalt, von Flucht und Vertreibung. Es geht um die Lebenserinnerungen der jüdischen Mitbürgerin Ruth Salomon, die im Rahmen eines Unterrichtsprojekts der Schmelzer Kettelerschule als Video auf DVD aufgezeichnet und verschriftet wurden. Der Beitrag enthält neben größeren Passagen des insgesamt vierstündigen Interviews auch einige Anmerkungen zur schulischen Projektarbeit und zu den Reaktionen der Schülerinnen und Schüler. Natürlich gibt es keinen wirksameren Geschichtsunterricht, als wenn die Schüler selbst zu forschenden Historikern werden, Zeitzeugen befragen und aus den Ergebnissen dieser Gespräche ein für sie authentisches Geschichtsbild gewinnen. Der Vergleich der Interviewaussagen mit anderen Informationsquellen schärft zudem das Bewusstsein für die Komplexität historischen Geschehens, das viele Fragen aufwirft und sich jeder Art von interpretatorischen Schnellschüssen verweigert. So sinnvoll solche Schülerprojekte sind, so anstrengend sind sie auch, und es ist der Schulleitung anerkennend zu danken, dass im letzten Jahr bereits das dritte Projekt dieser Art durchgeführt und dokumentiert wurde. Ebenso erwähnenswert erscheint mir die Tatsache, dass die Schüler sich auf Vorarbeiten stützen konnten, die 1990 und 1993 von Elmar und Oswald Schmitt in den Schmelzer Heimatheften publiziert wurden – hier gibt es also wichtige Synergieeffekte, es wird nicht nur geforscht, sondern auch rezipiert – und das ist ja die Grundvoraussetzung dafür, dass in vielen Köpfen gleichzeitig so etwas wie ein lokales Geschichtsbewusstsein entstehen und gefestigt werden kann.

Die Lebenserinnerungen der Ruth Salomon, die im Zentrum des Beitrag stehen, sind aus vielen Gründen lesenswert. Wir erfahren daraus zum Beispiel, dass die an der Saar lebenden Juden bereits 1933 und 1934 symbolisch ausgegrenzt und drangsaliert wurden, lange bevor der formelle Anschluss des Saargebiets an das Dritte Reich erfolgte. Obwohl die Familie ihre saarländische Heimat liebte, zeichnete sich 1935 schnell ab, dass es keine Alternative zur Emigration gab, die die Familie zunächst nach Luxemburg und später nach Frankreich führte. Als 12jährige lebte Ruth Salomon allein in einer Pariser Familie; ihre Eltern wollten, dass sie möglichst gut Französisch lernte, um im Fall der Fälle nicht als Deutsche erkannt zu werden. Ihr erster Französischlehrer war der etwa gleichaltrige Sohn der Pariser Gastfamilie, sein Name war Alfred Grosser, der in den 1950er Jahren Geschichtsprofessor an der Sorbonne wurde und sich wie kaum ein anderer Historiker um die deutsch-französischen Beziehungen verdient gemacht hat. Als 16jährige wurde Ruth Salomon Mitglied der Organisation Oeuvre de Secours aux Enfants, brachte jüdische Flüchtlingskinder an die französisch-schweizerische Grenze und entkam nur knapp den Häschern der deutschen Wehrmacht und der Miliz des Vichy-Regimes. Nach dem Krieg gehörte Ruth Salomon zu den wenigen jüdischen Mitbürgern, die in unseren Raum zurückkehrten und dort wieder sesshaft wurden, sie lebt heute in Saarbrücken, und, wie das Interview zeigt, erinnert sie sich noch gut an ihre frühen Kindheitstage, von denen sie viele glückliche hier in Hüttersdorf verbrachte.

 Damit, meine Damen und Herren, bin ich am Ende meiner Ausführungen angelangt. Ich hoffe, es ist mir gelungen, Ihnen etwas Lust auf die neue Ausgabe der Schmelzer Heimathefte zu machen, die ich mit großem Gewinn gelesen habe. Und ich wünsche den Schmelzer Heimatheften, dass ihr Schriftleiter und die Autorengruppe, die sie trägt, noch lange bei der Stange bleiben und vielleicht auch der eine oder andere junge Autor oder Autorin dafür gewonnen werden kann. Geschichtsbewusstsein braucht Kontinuität, gerade in einer kulturellen Umbruchzeit wie der heutigen. Wir alle müssen das Fähnlein der Heimat- und Landesgeschichte weiter hochhalten, denn sie ist notwendig und sie wird, dessen bin ich mir sicher, auch innerhalb der Universität und der breiten Öffentlichkeit wieder bessere Tage erleben.